Staatsrecht iii-2

Prof. Dr. Alexander Proelß WS 2013/2014 TEIL 2: VÖLKERRECHT UND AUßENVERFASSUNGSRECHT Rechtsquellen des Völkerrechts (Überblick)
1.
Rechtsnatur des Völkerrecht
• Die Rechtsnatur des Völkerrechts wird teilweise in Frage gestellt, weil der Gehorsam der Rechtsunterworfenen nicht durch eine obligatorische physische Sanktion erzwungen werden kann (enger Rechtsbegriff). • Nach anderer Auffassung sei entscheidend, ob das Recht seine Ordnungsfunktion im Großen und Ganzen verwirklicht; nicht relevant sei hingegen, worauf die Effektivität be-ruhe. Diese Effektivität kann dem Völkerrecht trotz der Mängel bei der Durchsetzung nicht abgesprochen werden: o Staaten sind von langfristigen gemeinsamen und gegenseitigen Interessen im ge- genwärtigen internationalen System überzeugt; dies ist die Grundlage der Effekti-vität des Völkerrechts. o Bestimmte Grundprinzipien, z.B. Gewaltverbot, souveräne Gleichheit, pacta sunt servanda, Treu und Glauben, belegen die gemeinsamen Überzeugungen vom friedlichen Zusammenleben der Staaten. o Die Gegenseitigkeit (Reziprozität) war ursprünglich ein Kernmerkmal des Völker- rechts; heute sind kollektive Interessen in den Vordergrund getreten. Reziprozität als Grundprinzip ist aber nicht bedeutungslos geworden, sondern dokumentiert sich z.B. im Diplomaten- und Investitionsschutzrecht. 2.
Rechtsquellen des Völkerrecht
• Art. 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs (im Folgenden: IGH-Statut) benennt deklaratorisch die wichtigsten Quellen des Völkerrechts: (1) Verträge, (2) Gewohnheits-recht und (3) allgemeine Rechtsgrundsätze • Es handelt sich dabei um die Rechtsentstehungsquellen; im Gegensatz zu Art. 38 I a)-c)
IGH-Statut sind die in Art. 38 I d) IGH-Statut genannten Gerichtsentscheidungen und
Lehrmeinungen nur Rechtserkenntnisquellen (= Hilfsmittel bei der Feststellung, ob et-
was Recht ist oder nicht)
a) Völkerrechtliche Verträge
• Bezeichnung nicht ausschlaggebend (z.B. Vertrag, Abkommen, Übereinkommen, Kon- • Recht der völkerrechtlichen Verträge ist im Wesentlichen geregelt im Wiener Überein- kommen über das Recht der Verträge (Wiener Vertragsrechtskonvention – WVK); für Staaten, die der WVK nicht beigetreten sind, richten sich Abschluss, Aufhe-bung/Kündigung etc., Auslegung, In-Kraft-Treten usw. nach den einschlägigen Regeln des Völkergewohnheitsrechts, die freilich ganz überwiegend dem in der WVK kodifizier-ten Recht entsprechen • Definition: Von einem völkerrechtlichen Vertrag ist auszugehen, wenn aufeinander be-
zogene, inhaltlich deckungsgleiche, vom Völkerrecht bestimmte Willenserklärungen von mindestens zwei Völkerrechtssubjekten vorliegen, die auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung bestimmter völkerrechtlicher Beziehungen gerichtet sind (beachte: die WVK ist gemäß Art. 2 nur anwendbar auf in Schriftform geschlossene Übereinkunfte) • Eine Besonderheit gegenüber nach nationalem Recht geschlossenen Verträgen besteht
darin, dass auf Ebene des Völkerrechts die Bindung an den Vertrag i.d.R. nicht bereits
mit der Unterzeichnung, sondern erst durch die Ratifikation eintritt. Unter „Ratifikation“
ist das innerstaatlich vorgesehene Verfahren der Zustimmung zu einem völkerrechtlichen
Vertrag sowie der anschließende Austausch der Ratifikationsurkunden zu verstehen.
Bsp.: Zustimmungserfordernis nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
Abgrenzung: Keine verbindlichen völkerrechtlichen Verträge sind sog. Gentlemen’s Ag-
reements und Memoranda of Understanding; hierbei handelt es sich um nur politisch „verpflichtende“ Akte (= soft law), deren Verletzung nicht sanktioniert oder eingeklagt werden kann o ob ein verbindlicher Vertrag oder soft law vorliegt, ist durch Auslegung zu klären; Gentlemen’s Agreements und Memoranda of Understanding werden überdies nicht ratifiziert • Verträge können über einen globalen oder regionalen Anwendungsbereich verfügen o Insbesondere im Hinblick auf solche Interessen, die nur gemeinsam effektiv ver- folgt werden können und die bedeutsam für die globale Friedensordnung sind (z.B. die Grundsätze der VN-Charta zur Friedensordnung, aber auch bestimmte Bereiche des int. Umweltschutzes), werden regelmäßig Verträge mit universellem Geltungsanspruch ausgehandelt und geschlossen aber: Entscheidender „Nachteil“ der Rechtsquelle „Vertrag“ ist, dass ein Staat nur an einen Vertrag gebunden ist, wenn er ihm zuvor zugestimmt
hat.
o Regionale Verträge können auf bestimmte begrenzte Phänomene und Herausfor- derungen besser reagieren, z.B. auf bestimmte Umweltprobleme. b) Völkergewohnheitsrecht
Elemente: Staatenpraxis bzw. Übung (objektiv) und allgemeine Rechtsüberzeugung bzw.
opinio juris (subjektiv) = dualistische Theorie des Gewohnheitsrechts bzw. Zwei-Elemente-Lehre o Ob eine Praxis auch davon getragen ist, dass der Staat von einer Rechtspflicht überzeugt ist, ist meistens schwer feststellbar. o Übung muss eine bestimmte Dauer haben; einmalige Vorfälle genügen nach hM nicht, d.h. kein sog. spontanes Gewohnheitsrecht (instant custom)Kernfrage: Wie viele Staaten sind notwendig für die Entstehung von Gewohnheitsrecht?
Kriterien: „Quasi-Universalität“, Übereinstimmung der „großen Staaten“ oder der für ein Thema, z.B. Raumfahrt, „wichtigen Staaten“ o beachte: Gewohnheitsrecht gilt zumeist universell, aber auch regionales Gewohn- heitsrecht ist denkbar, z.B. im Hinblick auf europäische Menschenrechtsstan-dards; umstritten ist etwa, ob das Recht auf „diplomatisches Asyl“ in Lateiname-rika regionales Gewohnheitsrecht darstellt • Verhältnis zur staatlichen Souveränität: Ein Staat, der beharrlich gegen die gewohn-
heitsrechtliche Bindung einer gewohnheitsrechtlichen Norm protestiert (sog. persistent objector), wird nicht gebunden. • Ein Vertrag geht als spezielleres Recht dem Gewohnheitsrecht regelmäßig vor (lex spe- cialis); von zwingendem Völkerrecht (sog. jus cogens; darunter fallen z.B. die wichtigs-ten Menschenrechte, das Folterverbot, das Verbot der Apartheid) kann freilich nicht per Vertrag abgewichen werden. • Beispiele: die meisten Regeln des Rechts der Verträge gelten (auch) gewohnheitsrecht-
lich; Staatenimmunität; Freiheit der Schifffahrt auf Hoher See; Verbot der Schädigung von Nachbarstaaten, Selbstbestimmungsrecht der Völker. • Abgrenzung: Faktisch praktizierte Regeln der Courtoisie (auch Völkersitte, comitas gen-
tium) – z.B. diplomatisches Protokoll, gegenseitiges Grüßen von Schiffen auf Hoher See, Regeln der internationalen Moral (z.B. Angebot humanitärer Hilfe bei Katastrophen) – sind vom Völkergewohnheitsrecht zu unterscheiden. Verstöße können als Af-front/unfreundliche Akte gewertet werden, sind aber nicht sanktionsbewehrt und auch nicht einklagbar. c) Allgemeine Rechtsgrundsätze
• = durch Rechtsvergleichung zu ermittelnde materielle, verfahrensrechtliche oder rechts- strukturelle Prinzipien, die übereinstimmend im innerstaatlichen Recht sämtlicher oder der großen Mehrheit der Staaten gelten • Zweck: Füllung von Lücken und Auslegungshilfe; regelmäßig subsidiär zu Verträgen und • Beispiele: Treu und Glauben, Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Einrede höherer Gewalt, Verbot des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens, venire contra factum proprium 3.
Rechtserkenntnisquellen (Gerichtsentscheidungen; Lehrmeinungen)
• = Hilfsmittel zur Feststellung von Völkerrechtsnormen; keine eigene Völkerrechtsquellen • Bedeutung der Lehrmeinungen hat wegen ihrer Pluralität nachgelassen; auch Kol- lektivansichten internationaler Juristenvereinigungen haben an Bedeutung verloren (z.B. Institut de droit international, International Law Association) • Gerichtsentscheidungen: IGH, Internationaler Straftgerichtshof, Internationaler Seege- richtshof, aber auch Schiedsgerichtsentscheidungen und Gerichtsentscheidungen nationa-ler Gerichte mit völkerrechtlichem Bezug (z.B. in Deutschland Verfahren gem. Art. 100 Abs. 2 GG)

Source: http://www.uni-trier.de/fileadmin/fb5/prof/OEF008/Grundz%C3%BCge_V%C3%B6lkerrecht/Staatsrecht_III-2.pdf

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